Heute öffneten die Oberurseler Werkstätten ihre Türen und ermöglichten der Öffentlichkeit einen Blick in Räume, die sonst für Außenstehenden nicht zugänglich sind. Diese Gelegenheit nutzten u.a. auch Familienangehörige zum Besuch ihrer Verwandten am Arbeitsplatz.
Eines muss man über die Werkstätten gleich zu Beginn sagen: Als Betrieb sind sie ganz schön groß. Über 500 Menschen mit geistigen, seelischen oder (bzw. und) körperlichen Behinderungen arbeiten in den 7 Standorten, die zwischen dem Bürogebäude in der Oberen Zeil und dem Bistro im Zimmersmühlenweg verteilt sind. Jeder von ihnen hat eine über zweijährige Ausbildung im Berufsbildungsbereich absolviert, oder bereits im Voraus eine Berufsausbildung oder ein Studium abgeschlossen.
Fachbereichsleiter Ralph Winn präsentierte heute voller Stolz die neue Aktenvernichtungsanlage im Zimmersmühlenweg. 80.000 Aktenordner werden jedes Jahr bei den Werkstätten vernichtet, das sind zwei bis drei Tonnen Papier pro Tag. Bevor das Papier in den Schredder kommt, wird es einer Vorsortierung unterzogen. Das Papier muss aus den Aktenordnern herausgenommen werden, anschließend werden Metall- und Kunststoffteile von den Ordnern getrennt. Diese Arbeit findet in drei Vorsortierungsgruppen statt. Fertige Werkzeuge dafür gibt es nicht, aber nicht nur hier sind die Werkstätten erfinderisch. Sie stellen auch ihre eigenen Werkzeuge her, z.B. um die Metallringe von den Aktenrücken zu trennen.



Die Mitarbeiter haben unterschiedliche Stärken. “Für jede Art von Einschränkung findet man etwas”, erklärte Winn und machte auch die Teamarbeit in den Gruppen deutlich: “Man hilft sich gegenseitig”, sagte er.
Das sortierte Papier wird nun den Schredderanlagen zugeführt. Es gibt zwei Schredder, jeder schafft 500-600 kg pro Stunde. Die Papierschnipsel werden abgesaugt und über große Röhren nach außen befördert, wo sie in Container für je 5 Tonnen Papier landen. Die Container werden jeden zweiten Tag abgeholt und nach Mainz-Kostheim gebracht, wo sie zu Produkten wie Papierhandtüchern weiterverarbeitet werden. Die Anlage ist gut ausgelastet, trotz des Trends zum papierlosen Büro.
Im Nachbargebäude befindet sich die Schreinerei. Hier werden sowohl Kundenaufträge als auch Produkte für den eigenen Laden angefertigt. Ein großer Teil der Werkstatt ist derzeit mit Verpackungskisten gefüllt, die für einen externen Kunden hergestellt werden. Entlang der Wand stehen die Einzelteile, die von den Mitarbeitern montiert werden. Diese werden in einem Nebenraum gefertigt, in dem Säge- und Fräsmaschinen stehen.
Im anderen Teil der Werkstatt werden Nistkästen und Futterhäuschen zusammengebaut. Darüber hinaus steht ein Laserbeschrifter zur Verfügung, der bei größeren Aufträgen, z.B. von Vereinen, die Holzprodukte gravieren kann. Individuelle Gravuren werden direkt im Laden vorgenommen.
Weiter südlich im Zimmersmühlenweg betreiben die Werkstätten ein eigenes Bistro. Das Bistro ist öffentlich und bietet täglich drei verschiedene warme Gerichte an. Außerdem gibt es täglich frische Kuchen, Salate, Börek und Quiche, die vor Ort zubereitet werden. Hier würde man sich über mehr Gäste freuen. Es gibt sogar einen Bücherschrank, wo man sich die Lektüre beim Essen ausleihen kann, oder gegen eine Spende sogar ganz mitnehmen darf.
Hinter dem Bistro arbeiten in einem anderen Gebäudeteil 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an industriellen Fertigungen, wie zum Beispiel Elektromontage. Sie haben ihren eigenen Speisesaal im ersten Stock.
Der nächste Standort befindet sich im Tabaksmühlenweg. Hier werden industrielle Dienstleistungen in mehreren Arbeitsgruppen angeboten. Die Größe der Gruppe ist danach ausgerichtet, wie viel Unterstützung benötigt wird. Für eine aktuelle Werbeaktion werden Puzzleteile auf Karten geklebt und zu 10er-Päckchen zusammengestellt.



In einer anderen Gruppe werden Holzstücke in dünne Stücke gespalten. Diese werden gebündelt und mit einem Docht in ein Wachsbad getaucht. Aus 16 solchen Grillanzündern wird eine Packung, die im neuen Laden verkauft wird. An einer weiteren Station werden Socken gestrickt. Auch hier sind Auftragsarbeiten, z.B. in bestimmten Farben, möglich.
Zurück im Haupthaus, das nach dem Gründer der Werkstätten, Werner Herr (Landrat 1960-1979) genannt wurde, boten Mitarbeiter wie unter anderem Jamal Führungen durch das Gebäude an. Es finden sowohl Produktionsarbeiten als auch Verpackungsarbeiten statt. Bei einigen Aufträgen handelt es sich um Produkte aus dem medizinischen Bereich, für die strenge Vorschriften gelten, z.B. wie oft ein Arbeitsplatz desinfiziert werden muss.
Bei anderen Arbeiten handelt es sich um den Massenaustausch von Packungsbeilagen, weil die Originalpackungsbeilagen Fehler enthalten. Es gibt auch Aufträge aus der Automobilindustrie, zum Beispiel die Konfektionierung und Verpackung von Sicherungsringen.
Für die letzten beiden Oberurseler Standorte muss man nach Bommersheim fahren. In der Folkbertusstraße, mitten im Wohngebiet, befindet sich das Förderzentrum. Hier arbeiten Mitarbeiter, die körperlich oder geistig die Ganztagsarbeit der anderen Bereiche nicht schaffen würden, jedoch fähig genug sind, einen halben Tag zu arbeiten. Vormittags wird daher z.B. im Bereich “Verpackungen” gearbeitet, Nachmittags stehen die Förderangebote im Mittelpunkt. Dazu gehören z.B. Kunst, Entspannungen und Gespräche. Dienstags gibt es Sport. Im Keller befinden sich ein Kreativraum, ein Sportraum mit Tischkicker und ein “Snoezle-Raum”. Freitags ist die Limorunde ganz beliebt, in der man bei einem Süßgetränk die Woche reflektiert. Ziel dieser Kombination von Arbeit und Förderangebote ist der Erhalt oder Förderung von Fähigkeiten.



Schließlich in der Straße “Obere Zeil” haben die Werkstätten im Bürogebäude zwei Etagen. Im Erdgeschoss befindet sich eine Außenstelle der Tagesförderstätte. In drei Gruppen werden Menschen mit schweren Behinderungen betreut. Es werden Spaziergänge unternommen und Angebote zur Förderung der Handmotorik gemacht, z.B. Puzzeln und Malen. Es gibt einen Sportraum, einen Kreativraum, ein Bällebad, aber auch Ruheräume und einen “Snoezle-Raum”. Physio- und Ergotherapie wird in diesem Bereich auch angeboten.
Im Dachgeschoss befindet sich das Dienstleistungszentrum. Hier werden Akten, u. a. von Behörden, eingescannt und digitalisiert. Dabei werden Scanner mit Kapazitäten für 400 Blätter eingesetzt, mit zwei Scanner und Mitarbeiter je Zimmer. Auch hier findet eine Vorsortierung statt, um die Papiere aus den Aktenordnern herauszunehmen.
In einem weiteren Bereich werden Mailings vorbereitet. Die Kunden liefern ihre Mailing- und Adressdaten, die Briefe und werden ausgedruckt, in Umschläge gesteckt, mit Etiketten versehen und frankiert. Es müssen nicht nur Briefe sein – auch Babypakete für Neugeborene werden für Krankenhäuser zusammengestellt.
Ein letzter Standort befindet sich gar nicht in Oberursel, sondern im Hessenpark. Hier arbeiten die Mitarbeiter in der Landwirtschaft und Tierpflege, unterstützen bei Veranstaltungen, führen Ausbesserungsarbeiten durch und sorgen für allgemeine Ordnung im Park.
Acht Standorte mit acht verschiedenen Angeboten. Jeder, der dort tätig ist, soll sich am Arbeitsplatz wohl fühlen und möglichst viele Chancen für die persönliche Weiterentwicklung und Entfaltung angeboten bekommen – so wie es im Leitbild der Werkstätten steht.

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