Geraubte Kindheit: Die Kindertransporte

Für die Finissage der Ausstellung “Geraubte Kindheit” waren am Donnerstag vor einer Woche alle 50 Plätze im Georg-Hieronymi-Saal besetzt. Mit dabei war auch der Leipziger Fotograf Michael Oertel, der die Ausstellung konzipiert hatte.

Nach einer kurzen Begrüßung durch den stellvertretenden VFOS-Vorsitzenden Joachim Netz erzählte die Schirmherrin Antje Runge von ihrem Besuch bei einem 95-jährigen Bürger am Vormittag. Er wurde während des Zweiten Weltkriegs mit 15 Jahren eingezogen und geriet in Gefangenschaft. “Die Kinder sind immer die Opfer”, sagte sie und regte an, solche Erfahrungen aufzuzeichnen.

Zu Beginn ihres Vortrags erklärte Historikerin Angelika Rieber, dass die Kinder der Kindertransporte auch ihrer Kindheit geraubt wurden. Die Kindertransporte gingen in die europäischen Nachbarländer, auch zu den Partnerstädten. Sie betonte, dass das Erinnern an diese Zeit eine gemeinsame Aufgabe Europas sei.

Im Vortrag wurden die Geschichten einiger weniger Kinder erzählt, aber auch die Rahmenbedingungen, die ihr Leben veränderten. Zum Beispiel von Felix Weil. Frau Rieber erzählte, wie sie ihn in den USA im Jahr 1989 kennenlernte. Seine Mutter stammte aus der Familie Herzfeld. Mit zwölf Jahren verließ er im August 1939 Deutschland. Nachdem sie sein Vertrauen gewonnen hatte, war es, als ob seine Erinnerungen an diese Zeit wieder auftauen würden.

Elisabeth Calvelli-Adorna war ein weiteres Kind, das Deutschland verlassen musste. Ihr Vater war Richter und wurde im Jahr 1933 aus dem Staatsdienst entlassen. Frau Rieber zeigte ein Foto von Elisabeth mit ihren Großeltern bei einem Ausflug zum Rhein im Jahr 1939. Mit diesem Ausflug und mit Kaffee und Kuchen wurde ihr Abschied gefeiert. Später am Bahnhof in Frankfurt durften ihre Eltern jedoch nicht mit auf den Bahnsteig gehen. An diesem Tag sah Elisabeth ihre Mutter zum ersten Mal weinen.

Die Rettungsaktion, um jüdische Kinder ins Ausland zu bringen, begann im November 1938 mit den Novemberpogromen. 10.000 von ihnen sollten nach England reisen, weitere 10.000 in andere westeuropäische Länder. Viele Familien zögerten, auszuwandern – vor allem, wenn sie im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft hatten.

In ihrem Vortrag berichtete Angelika Rieber über die Rolle von Schulen und Kinderheimen bei den Kindertransporten. Während jüdische Kinder in den Städten noch jüdische Schulen besuchen konnten, war dies auf dem Land nicht möglich, dort gab es diese Möglichkeit nicht. Sie hatten die Möglichkeit, die jüdische Bezirksschule in Bad Nauheim zu besuchen, die auch als Internat fungierte.

Angelika Rieber

Frau Rieber hatte in New York mit Herta Mayer gesprochen, einer ehemaligen Lehrerin der Schule. Ein Teil der Ausbildung der Kinder bestand darin, sie auf die Auswanderung vorzubereiten, um ihnen eine Perspektive zu geben. Auch Hebräisch wurde unterrichtet.

Am 9. November 1938 wurde das Heim überfallen. “Jedes Kind wollte jemanden an der Hand haben”, erzählte Herta Mayer später. Da sie nicht genug Hände hatte, nahmen die größeren Kinder die Kleinen an die Hand.

Auch das Israelitische Waisenhaus im Röderbergweg in Frankfurt wurde überfallen. Die Bewohner wurden nach Buchenwald transportiert, durften das Lager jedoch wieder verlassen, um auszureisen. Die Heimleitung hatten Isidor und Rosa Marx inne. Sie nahmen Kontakt zu anderen Heimleitern im Ausland auf und schickten bereits im November 1938 Kinder ins Ausland, darunter auch welche aus Bad Nauheim. Isidor Marx reiste sogar selbst mit nach England und befand sich zum Kriegsbeginn dort. Seine Frau wurde deportiert.

Da die Kinder in den Heimen bessere Chancen hatten, ausreisen zu können, hatte Frank Weils Familie ihn auch ins Kinderheim gegeben. Seine Schwester blieb bei den Eltern, sie wurde deportiert und ermordet. Wie viele andere Kinder kehrte Frank in der Nachkriegszeit als Soldat nach Deutschland zurück.

Kinder, die nach England geschickt wurden, erzählten später von ihren Erfahrungen während des Kriegs. Sie berichteten von der Stimmung im Land nach der Evakuierung von Dünkirchen, vom Hungern und davon, wie sie in ihren Familien angefangen haben, ihr eigenes Gemüse anzubauen. Auch von den Feierlichkeiten nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands erzählten sie.

Aber während die Kinder in England in der Regel bei Familien untergebracht waren, sah die Situation in Frankreich anders aus, erzählte Frau Rieber. Dort waren sie in Kinderheimen untergebracht, drei davon in der Nähe der Partnerstadt Épinay-sur-Seine. Bei dem Überfall auf Frankreich flohen sie mit dem Heimleiter Ernst Papanek zunächst nach Südfrankreich. Später konnten 250 von ihnen in die USA ausreisen.

Es hat lange gedauert, bis Frankfurt ein Denkmal für die Kindertransporte erhielt. Während solche Mahnmale in anderen Städten wie London, Prag und sogar Berlin direkt an den Bahnhöfen zu finden sind, wurde das “Waisen-Karussell” 2021 in Frankfurt an der Gallusanlage aufgestellt. (gt)

Das Buch “Rettet wenigstens die Kinder” von Angelika Rieber ist im Schulz-Kirchner Verlag erschienen. ISBN: 978-3947273119

Durch Orschel mit dem fokus O.

Am vergangenen Freitag fand eine ganz besondere Führung durch die Oberurseler Altstadt statt. Der Vorstand des fokus O. wurde von Stadtführerin Marion Unger zu den besonderen Orten in der 175-jährigen Geschichte des Gewerbetreibendenvereins geführt. Begleitet wurde er dabei von Vertretern der Taunus Zeitung und des Oberurseler Forums.

“Wir werden eine Menge heute dazu lernen”, kündigte der ehemalige Vorsitzende Michael Reuter schon zu Beginn am Alt-Oberurseler Brauhaus an. Dort beginnt auch die Geschichte des Vereins.

Aber zuerst gab es einen Ausflug ins Mittelalter. Marion Unger erzählte, dass damals alles, was das Gewerbe in Oberursel anging, von den Zünften geregelt wurde. Die Zünfte waren nach Berufsgruppen aufgeteilt. Wer nicht zu einer Zunft gehörte, durfte in der Stadt nicht arbeiten und erhielt keine Aufträge. In der Vorstadt fand man allerdings unzünftige Handwerker, die kleinere Aufträge annahmen.

Im Zuge der Französischen Revolution und der Liberalisierung der Wirtschaft standen Wachstum und Industrie im Mittelpunkt. Die Zünfte sollten aufgelöst und die freie Marktwirtschaft eingeführt werden. 

Dabei gingen viele Gegenstände der Zünfte verloren. Aus Oberursel ist nur die Zunftlade der Schmiede übrig geblieben. Sie befindet sich heute im Historischen Museum in Frankfurt. Früher wurden darin die Urkunden, die Ordnung, die Chronik und die Insignien der Zunft aufbewahrt. Die Zunftordnung der Feuerzunft, zu der beispielsweise Schmiede und Bäcker gehörten, befindet sich heute im Stadtarchiv.

Was die Ausbildung ihrer Nachkommen betraf, entstand für die Handwerke ein Vakuum und so fand Aloys Henninger fruchtbaren Boden für die Gründung des Gewerbevereins im März 1850. Am 7. Juli wurde die Gewerbeschule gegründet. Bei der Gründung in der Gaststätte „Zum Römischen Kaiser!“ (heute das „Alt-Oberurseler Brauhaus”) waren 80 Personen anwesend, darunter 53 Lehrlinge und Gesellen.

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Geraubte Kindheit und Besuch aus Rushmoor

Zur Zeit findet die Ausstellung “Geraubte Kindheit” im Rathausfoyer statt. Dort werden Erinnerungen von Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs aus vier Nationen auf Tafeln ausgestellt. Alle Zeitzeugen waren zu jener Zeit noch Kinder.

Eins der Kinder ist Eileen Hiscock. Sie wurde im Jahr 1931 geboren und wohnte während des Kriegs in Finchampstead, einem Dorf mit einigen hundert Einwohnern westlich von London und nur wenige Kilometer von Farnborough entfernt.

Im Jahr 2012 wurden ihre Erinnerungen aus der Kriegszeit im Buch von der Oberurseler Autorin Lilo Bieback-Diel festgehalten. Sie starb Ende 2019, noch bevor die Ausstellung stattfinden konnte.

Am vergangenen Freitag haben die Nachfahren von Eileen die Ausstellung im Rathaus besucht. Ihre Tochter, Sharon Price, wurde von deren Sohn David mit seiner Freundin Beth und Enkel Nathaniel begleitet. Sharon wohnt heute noch in Rushmoor.

Zusammen mit Andi Andernacht von der Initiative Opferdenkmal haben sie eine Stadtführung unternommen und besuchten dabei sowohl das Opferdenkmal als auch die Stolpersteine in der Stadt. Nach einem gemeinsamen Mittagessen wurden sie von Bürgermeisterin Antje Runge im Rathaus empfangen.

Geraubte Kindheit und Besuch aus Rushmoor

Eileens Foto hängt noch bis Donnerstag im Foyer. Neben dem Foto, gedruckt auf einem Tuch, steht ein Satz, mit dem sie an ihre Kindheit erinnert: “Wenn wir ohne Gasmaske zur Schule gingen, bekamen wir Ärger”. (gt)

Am Opferdenkmal: v.l.n.r. Sharon Price, Nathaniel, Beth, David, Andi Andernacht.

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